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An einen unbekannten Tänzer

Da stehen sie, die Schuhe, die glitzernden, deren Leder durchgewetzt ist von unzähligen durchgetanzten Nächten. Im Flur direkt neben der Türe stehen sie und funkeln ihre Einladung. Man sieht ihnen ihr Alter an, wie dem runzligen Gesicht einer alten Dame, deren Falten von einem bewegten Leben erzählen. Und deren Augen strahlen, wenn sie von den schönen, schwerelosen Momenten ihrer Jugend erzählt. Die Schuhe glitzern verheißungsvoll im praktisch und pragmatisch eingerichteten Flur. Eine Einladung, den Alltag für ein paar Stunden hinter sich zu lassen. Die Sehnsucht: bei sich sein, Verbundenheit spüren, die Seele baumeln lassen.

 

Die Schuhe schmiegen sich an die Fußsohlen, welche ihre Abdrücke schon lange im Fußbett hinterlassen haben. Eine Einheit und eine Erinnerung: automatisch richtet sich die Wirbelsäule auf, anmutig, die Bewegungen werden sinnlicher, weiblicher, noch bevor die Musik die Hüften sanft berührt und diese widerstandslos zum Mitschwingen einlädt.

 

Das Glitzern der Schuhe wandert durch den Körper nach oben, strahlt durch die Augen nach draußen, doch eigentlich ist es ein Strahlen nach innen. Im Meer der Musik zu sein, die Wärme zu spüren, die Bewegungen der tanzenden Paar auf der Tanzfläche. Mit einem weichen, unfokussierten Blick sieht es aus wie die Wellenbewegungen des Meers. An manchen Stellen wirken die Bewegungen abrupt, ungelenk, an anderen fließen die Körper der Tanzpartner geschmeidig und weich ineinander hinein und aneinander vorbei. Zusammen ein großes Ganzes, atmend sich ausdehnend und wieder zusammenziehend, gehalten und getragen von den Rhythmen und Melodien der Musik.

 

Dann ist da ein Blick, eine ausgestreckte Hand, die Handfläche einladend nach oben geöffnet. Wir kennen uns nicht und wir sprechen nicht dieselbe Sprache, aber es braucht keine Worte. Ich lege meine Hand in seine und lasse mich sanft in das wogende Meer aus Tanzenden ziehen. Meine Augen halb geschlossen fühle ich, wie er beginnt, mich in seinen Tanz zu führen. Es ist eine Einladung, kein Aufzwingen seines Taktgefühls und seiner Bewegungen. Ein Angebot, ein Rahmen. Da ist Platz zwischen uns zum Atmen. Er ist ganz präsent und ganz bei mir in diesem Tanz. Er nimmt wahr, dass ich mich in den Tanz mit ihm hineinentspannen kann.

 

Sicher und sanft zugleich gibt sein Körper Signale, die meiner gerne aufnimmt, und so synchronisieren sich unsere Bewegungen zu einem harmonischen Ganzen. Er gibt mir Raum für meine Bewegungen und hält gleichzeitig klar und aktiv den Raum für uns, die Form. Ich fühle mich sicher, geborgen, weiß, dass er mich nicht in spitze Ellenbogen anderer Tänzer hineintanzen lässt. Ich kann loslassen, entspannen, seinen Bewegungen intuitiv antworten. Es ist ein Tanz unserer Energien. Mein Kopf ist leer. Es gibt nichts zu tun, nur zu fühlen. Er übernimmt die Führung, doch nicht, um sich in den Mittelpunkt zu stellen und selbst auf der Tanzfläche zu glänzen, die Partnerin bloß schmückendes Beiwerk. Sondern um da zu sein bei mir, bei seiner Tanzpartnerin, um mir den Raum zu geben, mich im von ihm gehaltenen Raum zu entfalten. Die wortlose Kommunikation unserer Körper zu genießen. Achtsam, dass es mir dabei gut geht.

 

Und es geht mir gut! Ich spüre die Musik durch mich hindurchfließen, bin ganz eins mit mir selbst und meinen Bewegungen und mit meinem Tanzpartner. Die Seele breitet ihre Flügel aus und mein Körper beginnt von innen heraus zu lächeln. Da ist Leichtigkeit, tiefe Freude, Sinnlichkeit, Verbundenheit. Unsere Blicke begegnen sich, als ich zu ihm aufschaue. Da ist dieser weiche, fürsorgliche Blick und gleichzeitig seine Brust, die mich sicher führt und mir so den Rahmen gibt loszulassen und mitzufließen, weich zu werden, weiblich zu sein. Die mir den Raum gibt, wenn ich ihn brauche. Und die mich anlehnen lässt, Herz an Herz, um die Verbindung zwischen uns zu spüren. Es ist wie Atmen – und obwohl er den Rhythmus für das Voneinanderweg und Zueinanderhin vorgibt, scheint es, als hätte sich sein Atemrhythmus ganz natürlich an meinen angepasst. Da ist nichts Unangenehmes, Fremdes, Erzwungenes. Es ist ein wunderschönes Hineinsinken- und Mitschwingendürfen. Männliche und weibliche Energien im Einklang, in einem gemeinsamen, harmonischen Tanz.

 

Die Musik endet, er führt mich zum Tanzflächenrand zurück und hinterlässt in mir ein erfülltes Gefühl von Verbundenheit. Auch wenn es nur dieser eine Tanz war, diese Erfahrung hat wieder etwas berührt, eine vage Erinnerung, eine Sehnsucht. Eine Sehnsucht nach Einklang und Verbundenheit – und sei es nur für Momente, für die Dauer eines Tanzes. Mit einem bewussten Einlassen auf das Ineinanderfließen der Energien und einem bewussten Abschiednehmen davon, egal ob man sich kennt, nahesteht oder fremd ist. Diese magischen Momente warten versteckt überall, wenn man bewusst und offen dafür ist.

 

Ja, auch in sich selbst kann man tiefe Verbundenheit spüren, auch mit dem Leben an sich und mit der Natur. Doch das sanfte Glitzern meiner Schuhe raunt mir aus dem Flur heraus zu: Noch schöner ist’s mit einem Du!

 

Danke, unbekannter Tänzer, für diesen magischen Moment! 

 

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