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Goodbye and welcome - Loslassen und Integration

Ich habe versucht, dich loszulassen. Ich habe immer wieder aufs Neue Abschied von dir genommen, jedes Mal auf einer tieferen Eben, ein Abschied in Etappen. Ich bin – vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben – bewusst vom Du zum Ich, habe mich endlich mir selbst und meinen inneren Wunden zugewendet. Ich habe mein Leben in neue Bahnen gelenkt, bin den Jakobsweg nach Finisterre und zu mir selbst gelaufen, mit dir im Gepäck, und das wurde von Kilometer zu Kilometer leichter. Ich habe alles getan, um dich loszulassen. Immer wieder. Ich habe begriffen, dass ich nicht auf dich warten kann, dass ich mein Leben leben muss und möchte. Dass ich frei sein will. Dass ich Lust habe, auf das Leben und die Liebe und auf einen Mann, der an meiner Seite durch dieses Leben gehen will.

 

Ich habe alles getan, um die Verbindung zu dir loszuwerden. Ich konnte nicht mehr. Ich wollte endgültig frei sein. Ich versuchte dich wegzuhalten, wegzuschieben, die Verbindung zu dir zu kappen. Doch du kamst wieder zurück. Du warst da in den Regentropfen, die sanft mein Gesicht berührten, im Wind, der mich kraftvoll umspielte, in der Dunkelheit, die ihren Mantel um mich breitete. Ich redete mit dir.

 

Ich sagte zu den Regentropfen, dass ich müde bin und erschöpft, dass ich keine Energie mehr habe, die ich dir geben kann, dass ich sie nun für mich brauche. Ich bat dich wegzugehen. Die Regentropfen antworteten, dass du dies verstehen würdest und nun nicht mehr hier seist, um von mir zu nehmen. Zärtlich küsste mich ein Tropfen auf die Nasenspitze und nahm mein Gesicht in seine Hände und bat mich, dich nicht wegzuschicken.

 

Ich sagte zu dem Wind, dass ich nicht mehr möchte, dass so viel von dir und deinem Leben zu mir getragen wird und ungefragt zu mir hereinflutet, dass ich einen Schutzraum brauche. Der Wind antwortete, dass es dir genüge, einfach da zu sein an meiner Seite, mich zu begleiten und mich zu unterstützen, wenn ich Hilfe brauchte. Der Wind blies kraftvoll gegen meinen Rücken, sodass ich mich ein wenig hineinlegen konnte.

 

Ich sagte zu der Dunkelheit, dass ich frei sein möchte für eine liebevolle Partnerschaft mit einem Mann, der bereit ist, dies zu leben, dass ich nicht möchte, dass du mich festhältst oder blockierst. Die Dunkelheit antwortete, dass du da sein würdest wie ein guter Freund, auf den ich mich immer verlassen kann, dass du nicht an mir ziehen oder mich festhalten würdest. Die Dunkelheit umarmte mich warm wie eine alte Bekannte.

 

Ich seufzte und lächelte, denn ich konnte die Freiheit in meinem Herzen fühlen und gleichzeitig die Freude, dich nun auf eine neue Art an meiner Seite zu spüren. Doch ich wusste, dass ich achtsam und sehr klar sein musste. Dass es an mir war, diese Grenzen einzufordern, falls du sie übertreten würdest. Ich ging weiter meinen Weg zu mir selbst und konnte hin und wieder deine vertraute Präsenz wahrnehmen, als angenehme Wegbegleitung.

 

Dieser Weg zu mir selbst führte mich zu einem verwundeten Ort in mir, der älter war als alles andere. Auch bei dieser Wunde ging es auf den ersten Blick darum loszulassen, Abschied zu nehmen, etwas hinter sich zu lassen. Doch dann bemerkte ich, dass heilen nicht immer loslassen bedeutet. Heilen bedeutet vor allem auch: integrieren. Es geht im Leben oft nicht um „entweder oder“, sondern um „sowohl als auch“. Es geht darum anzukommen und anzunehmen, was gesehen und gefühlt werden möchte. Wenn eine Erfahrung Teil von mir ist, dann verbanne ich ein Stück von mir selbst, wenn ich sie vergesse oder ablehne. Stattdessen möchte ich sie willkommen heißen, ihr einen Raum in meinem Körper geben, sie darf da sein, ein Teil von mir – wie ein Kind, das so lange schreit, bis es endlich liebevolle Aufmerksamkeit erfährt und auf den Arm genommen wird. Dann beruhigt es sich und ich kann wieder über die nächsten Schritte in meinem Leben entscheiden, ohne permanent das Geschrei und mein schlechtes Gewissen ausblenden zu müssen und dadurch Lebensenergie zu verlieren.

 

 

Manchmal geht es also gar nicht darum, etwas völlig loszulassen. Manchmal geht es darum, es anzuerkennen und zu integrieren. So bleibe ich frei, bin angebunden und werde ganz ich selbst. So wähle ich mutig meine Schritte. 

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