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Was ich dir sagen möchte

 

Du kamst in mein Leben, leise, unbemerkt. Nicht mehr als ein interessierter, fragender Blick. Deine Augen fragten über Wochen: „Hallo, wer bist denn du?“ Dein Mund blieb stumm. Meine Augen antworteten: „Hallo, meinst du etwa mich?“ Irgendwann fasste ich mir ein Herz und fragte: „Möchtest du mit mir tanzen?“ Du nahmst meine Hand und so fing alles an.

 

Du wolltest mit mir tanzen. Aber nur im sicheren Rahmen der Musik und der Tanzfläche. Nicht durch das schöne, wilde, unberechenbare Leben. Du nahmst mich in den Arm, wenn die Musik dir die Erlaubnis dazu gab. Weißt du, dass ich in deinen Augen sehen konnte, dass die Musik in dir weiterspielte, auch wenn sie im Außen nicht mehr zu hören war? Weißt du, dass du dir jederzeit selbst hättest die Erlaubnis geben können, mich in den Arm zu nehmen, mir nahe zu sein? Mit mir im Arm zu deiner Musik, die auch meine war, durchs Leben zu tanzen? Dein Mund blieb stumm, deine Arme, als wären sie mit Blei beschwert, blieben unbeweglich. Doch deine Augen sprachen Bände.

 

Wir kamen uns näher, zwei Verwundete, die meinten, ihr Innerstes mit allen Mitteln schützen zu müssen. Wir fanden Wege und Strategien, um die Nähe, die plötzlich wie ein großes Meer zwischen uns und um uns herum schwappte, die uns wie ein unsichtbares Band miteinander verband, nicht direkt spüren zu müssen. Die Worte zwischen uns nahmen den sicheren Weg über das Papier und den Computerbildschirm. So konnten wir uns vorsichtig wie zwei Muscheln ein klitzekleines bisschen öffnen, ohne dass der andere unmittelbar einen Blick in unser Innerstes erhaschen konnte. Ich glaube, wir fürchteten beide, dass die Wucht und ungekannte Intensität dieses Meeres der Nähe sonst die sich vorsichtig öffnenden Muschelschalen auseinanderreißen und die darin verborgene, sanft schimmernde Perle mit sich reißen würde.

 

Weißt du, dass wir nicht nur dieselbe Musik in unserem Inneren hörten, sondern dass uns die große Nähe und unerklärliche Vertrautheit beiden große Angst machte – mir genauso sehr wir dir? Auch ich war verunsichert, hatte Angst, auch mein Mund blieb viel zu oft stumm, auch meine Arme gehorchten meiner inneren Sehnsucht viel zu oft nicht, auch ich sprach viel zu selten meine Wahrheit, auch ich hatte Angst vor dieser Liebe, die größer und älter zu sein schien, als alles, das ich bisher kannte. Aber ich war bereit, mich diesem Meer, das uns beide überflutete, auszusetzen. Ich wollte sehen, was passiert, wenn wir uns langsam öffnen. Und tief drinnen wusste ich, dass meine Perle nicht verloren gehen würde, im Meer oder bei dir. Weil ich doch selbst dieses Meer war und du ein Teil von mir.

 

Weißt du, wie es mir ging, als ich spürte, dass du dich verschließt und von mir wegtreiben lässt? Du hattest nicht die Kraft, aktiv zu gehen. Du hast einfach nichts mehr gemacht, bist immer leiser und starrer geworden, als würdest du dich totstellen und alles mit dir geschehen lassen. Ich konnte sehen, wie Sand über dich geschwemmt wurde, der dich bedeckte, schwerer machte, einschloss. Deine Hülle, sie wurde immer dicker und du spürtest kaum noch, dass du von Wasser umgeben warst. Es war, als würdest du versteinern, eins werden mit einem Felsen, an den du zufällig gespült wurdest.

 

Weißt du, dass ich all dies mitbekommen konnte, weil dieses Band zwischen uns immer noch da war, auch wenn du deine Muschelschalen so perfekt verschlossen hast, wie es dir nur möglich war? Weißt du, dass ich trotzdem noch deine Augen sehen und die Musik aus deinem Inneren hören konnte, die du selbst nur noch ganz schwach wahrnahmst? Du versuchtest blind zu werden und taub.

 

Weißt du, dass auch mein Leben seither nicht mehr dasselbe ist? Ich spürte dieselbe Angst und Verunsicherung durch die besondere Nähe zwischen uns, aber ich spürte auch die Lebendigkeit und die Ahnung einer Weite, die mir nicht nur Angst machte, die mich auch magisch anzog. So gefährlich und unberechenbar es mir auch schien, da gab es etwas zu entdecken. Also ließ ich mich durchs Meer wirbeln. Manchmal wurde ich durch Strudel ganz nach unten in die Tiefe gerissen, wo es dunkel ist und man die Orientierung verliert. Doch bei jedem Auftauchen konnte ich das Licht und die Klarheit der Wasseroberfläche und mich selbst in diesem Meer deutlicher wahrnehmen.

 

Weißt du, dass ich durch die Begegnung mit dir auf den Weg zu mir selbst geschubst wurde? Extrem unsanft zwar, aber dafür nachhaltig. Weißt du, dass mein Leben nie wieder das alte sein wird? Weißt du, dass ich dabei bin, die zu werden, die ich wirklich bin – die, die du schon damals mit deinen neugierigen, sanften Augen sehen konntest, als deine Hand vor vielen Jahren meine nahm für den ersten gemeinsamen Tanz? Damals, als ich für einen Wimpernschlag der Ewigkeit in deinem Arm war, unwissend, wer ich wirklich bin. Und du mich hieltest, unwissend, wer du wirklich bist.

 

Weißt du, dass ich dir für vieles sehr dankbar bin und dass du mich durch manches sehr tief verletzt hast? Weißt du, dass es heilsam für mich wäre, wenn du mich und mein verwundetes Innerstes, das ich damals so sehr schützte, heute sehen könntest? Wenn du Zeuge wärest, meiner Wut, meiner Enttäuschung und meiner tiefen Verletztheit? Weißt du, dass ich gerne gemeinsam mit dir über diesen Schmerz, meinen und deinen, weinen würde und über unser nicht gelebtes gemeinsames Leben? Weißt du, dass ich dir heute und hiermit gerne vergeben möchte für das, was du vermutlich einfach nicht anders wusstest oder konntest?

 

Weißt du, dass die Perle einer Muschel durch eine Verletzung entsteht? Die Muschel ist nicht wütend auf den Eindringling, auf das Sandkorn oder den Parasit, sondern stellt sofort mehr Perlmutt her, um den Eindringling damit zu umhüllen und sich so zu schützen. So entsteht ihr kostbarer Schatz, die Perle. Weißt du, dass auch ich mich wie die Muschel mehr um mein inneres Wachstum kümmern und meine Selbstheilungskräfte stärken möchte?

Weißt du, dass ich dir heute und hiermit vergebe und dir wünsche, dass du immer von Liebe und Freude eingehüllt bist? Weißt du, dass ich mich hiermit von allem Alten befreie und mir erlaube, dem Ruf meiner Seele zu folgen und weiter durch das Meer und das Leben zu tanzen? Ohne dich, aber mit meiner Perle im Herzen, die mich immer an unseren kurzen gemeinsamen Tanz erinnern wird. Den Tanz, den wir seit Äonen tanzen.

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Kommentare: 6
  • #1

    Sam (Dienstag, 19 Dezember 2017 13:03)

    Einfach nur wundervoll! Danke für dein Herz <3

  • #2

    Fabio (Dienstag, 19 Dezember 2017 14:11)

    Sehr poetisch geschrieben mit wundervollen Bildern. Dennoch stört mich im ganzen Text, dass der Erzähler nicht bei sich bleibt. Dieses Schwanken zwischen "von sich erzählen und glauben zu wissen was der andere schon immer fühlte und dachte", hinterlässt bei mir ein trauriges Bild was die seelische Integrität des Erzählers angeht.
    Schade eigentlich denn am Ende des Textes frage ich mich was der Erzähler EIGENTLICH wirklich sagen wollte.

  • #3

    Brigitte (Dienstag, 19 Dezember 2017 17:42)

    Wunderschön liebe Bettina , berührend mit Tiefgang -
    Danke fürs Teilen :)

  • #4

    Sarah (Dienstag, 19 Dezember 2017 19:04)

    Ich denke man versteht die Message, wenn man schon mal in einer ähnlichen Situation war.

    Ich habe mir auch „eingebildet“ dass es bei meinem Gegenüber ähnlich war, das spürt man einfach, aber 100%ige Gewissheit hat man natürlich nicht und werde ich auch nie haben, wir beide haben uns auch nicht getraut - im Nachhinein total bescheuert, eigentlich kann es so einfach sein. War es damals aber leider nicht.

    Aussage ist, dass diese wirklich unschöne Erfahrung, an der man auch am liebsten für immer festhalten würde, obwohl es nicht gut für einen war, weil man sich u.a auch nicht vorstellen kann, dass so eine Verbindung noch mal jemals vorkommen könnte..
    sollte nur ein Spiegel sein, woran man selbst noch arbeiten sollte und es deshalb so wertvoll war, auch wenn es einen richtig kaputt gemacht hat und man sich fragt warum das so passieren musste.
    Ich zb. habe daraus mitgenommen, mich selber mehr Wert zu schätzen und mich dementrsprechend nie wieder so schlecht behandeln zu lassen, wie ich es tat und die Schuld von mir weg auf meinen Gegenüber geschoben habe, aber letztendlich war ich selbst schuld. Und dass man selber alle Gefühle und über alles unangenehme reden sollte und sich vor allem öffnen!
    hoffe habe es einigermaßen gut rüber bringen können, was ich meine.

  • #5

    Andreas (Mittwoch, 20 Dezember 2017 10:01)

    Wunderbare Worte mit viel Tiefgang, die einen zum Nachdenken über das eigene Sein anregen. Wissen wir wirklich, wer wir eigentlich sind und was wir hier in dieser Welt wollen? Kennen wir unsere Aufgabe / unseren Lernprozess für dieses Leben?

    Besonders dieser Teil dürfte auf sehr viele zutreffen: << "... Du hast einfach nichts mehr gemacht, bist immer leiser und starrer geworden, als würdest du dich totstellen und alles mit dir geschehen lassen. ... und du spürtest kaum noch, dass du von Wasser umgeben warst. Es war, als würdest du versteinern, ..." <<

    Wir sollten uns wirklich alle wesentlich mehr Zeit für uns selbst nehmen und unser Leben reflektieren. Auch das Vergeben gehört dazu - nicht dem Anderen zuliebe, sondern für uns selber, denn damit kann die Selbstheilung anfangen.

    Danke für diesen inspirierenden Text.

  • #6

    Moni (Montag, 08 Januar 2018 19:41)

    Deine Sprache ist reine Poesie!
    Deine Geschichten sind ein berührendes Geschenk!