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Wer nach außen schaut, träumt. Wer nach innen schaut, erwacht. - Yoga als Reise nach innen

 

Bestimmt wurdest du von deinem Yogalehrer schon oft aufgefordert, während oder nach einer Yogahaltung „reinzuspüren“, wie sich dein Körper nun anfühlt. Wie bei der Meditation lernen wir durch die Yogapraxis, den Blick achtsam nach innen zu richten und im Hier und Jetzt anzukommen. Im Alltag lassen wir uns oft von unseren Gedanken und äußeren Reizen ablenken, verlieren uns in Träumen oder reagieren auf äußere Umstände impulsiv und unbewusst. Yoga lehrt uns, den Geist wieder zu fokussieren und zu uns und in unseren Körper zurückzukommen. Yoga ist wie meditieren mit dem Körper.

 

Besonders uns Menschen in der westlichen Welt fällt es oft nicht leicht, uns hinzusetzen, die Augen zu schließen und still zu werden. Das Sich-in-sich-selbst-Versenken fällt vielen leichter, wenn wir den Körper mitnehmen auf unsere Reise nach innen. Durch achtsam ausgeführte Asanas, wie die Yogahaltungen auf Sanskrit genannt werden, lernen wir, den Geist zur Ruhe kommen zu lassen, indem wir ihn zunächst auf die körperliche Ausrichtung fokussieren.

 

Ich persönlich schätze hier sehr die präzisen, feinen Anweisungen des Iyengar-Yoga, die uns lehren, die Aufmerksamkeit auch auf kleine Details zu richten. So lernt man zum Beispiel die feste Verankerung der Fußsohlen über die drei Punkte Großzehenballe, Kleinzehenballe und Ferse zu spüren oder die Arme bis hinein in die Fingerspitzen zu strecken. Es ist wie ein Heranzoomen an einzelne Körperteile und dann ein Zurückpendeln in die Weitwinkelperspektive mit einem Blick auf den ganzen Körper. Der Geist ist so ganz wach und fokussiert und man lernt, auch gegensätzliche Prinzipien zunächst nacheinander, dann pendelnd und schließlich gleichzeitig im Körper wahrzunehmen.

 

Man spürt beispielsweise die Länge der Wirbelsäule im Meditationssitz, indem man die untere Körperhälfte – Beine, Becken, unterer Rücken – sanft und passiv mit der Schwerkraft nach unten Richtung Boden sinken lässt und gleichzeitig den oberen Teil der Wirbelsäule aktiv und mit Leichtigkeit aufrichtet, den Scheitelpunkt nach oben streben lässt. Zwei entgegengesetzte Richtungen, Qualitäten und Prinzipien, auf die man zunächst abwechselnd den Fokus legt, bis man spürt, dass man beides gleichzeitig wahrnehmen kann.

 

Auch die Innenrotation der Hände und Unterarme im herabschauenden Hund, die uns Stabilität und Verwurzelung gibt, und gleichzeitig die Außenrotation in den Oberarmen und Schultern, welche Weite und Entspannung im Nackenbereich entstehen lässt, sind Prinzipien, die auf den ersten Blick nur nacheinander umgesetzt werden können. Kaum richte ich mich auf das eine aus, verliere ich das andere aus dem Blick. Doch mit der Zeit gelingt dieses Rein- und Rauszoomen und das Hin- und Her- und schließlich in der Mitte Einpendeln ganz mühelos. Die Körperwahrnehmung wird automatisch feiner und differenzierter, der Geist wird ruhiger.

 

Die äußere Form ist beim Yoga jedoch nur eine Unterstützung, um die innere Qualität der Asanas zu erfahren. Bestimmt wurdest du schon oft von deinem Yogalehrer aufgefordert, achtsam wahrzunehmen, wie sich dein Körper nun anfühlt, ob eine Veränderung spürbar ist, vielleicht auch, ob die rechte und linke Körperseite sich anders anfühlen. Spürst du ein Gefühl von Weite in Trikonasana, der Dreiecksposition, die Stärke im Krieger II oder die Anmut in der Taube? Reinfühlen, nachspüren, nach innen lauschen – ohne dabei etwas zu bewerten, sich zu kritisieren und ohne auf das, was sich zeigt, gleich reagieren oder etwas verändern zu wollen, das ist es, was Yoga ausmacht und so auch von Fitnessgymnastik unterscheidet.

 

Wir lernen dabei, aufmerksam hinzusehen, was sich auf verschiedenen Ebenen zeigt: auf der körperlichen Ebene, der geistigen Ebene, also den Gedanken, und auf der emotionalen Ebene, den Gefühlen. Dabei ist es wichtig, dass wir uns bewusst werden, wenn wir wieder in alte Muster rutschen und uns zum Beispiel auf der körperlichen Ebene mit dem Yogaübenden neben uns vergleichen, der vielleicht etwas tiefer oder anmutiger in eine Haltung hineinzukommen scheint. Oder dass wir uns dafür verurteilen, wenn wir uns dabei ertappen, nebenbei doch in Gedanken den Einkaufszettel fürs Wochenende zu schreiben oder uns in den nächsten Sommerurlaub davonzuträumen. Dann geht es darum, dies wahrzunehmen, den Blick offen und neugierig weiter nach innen zu richten, wie ein Kind zu schauen, was es zu entdecken gibt. Wohlwollend und wertungsfrei. Es geht darum, einen weichen Blick zu kultivieren. Manche würden es als „mit dem Herzen sehen“ bezeichnen, also das Gegenteil von dem, wie wir im Alltag oft unbewusst mit uns umgehen, wenn wir uns selbst kritisch und kalt bewerten, vergleichen, antreiben.

 

Im Yin Yoga verwendet man oft die Formel: „entspannter Körper, wacher Geist“. Es geht also nicht darum, in einen Dämmerzustand zu kommen oder bei Savasana, der Endentspannung, gar einzuschlafen. Der Geist soll klar und frisch bleiben, und gleichzeitig ruhig und fokussiert sein. Wenn du das nächste Mal auf der Yogamatte stehst und dein Lehrer dich an das „Reinspüren“ erinnert, vielleicht willst du dann deinen Blick weich und offen nach innen richten, um wahrzunehmen, was sich auf der körperlichen, geistigen und emotionalen Ebene zeigt – ohne gleich darauf reagieren zu müssen. Und vielleicht gelingt dir das sogar manchmal auch abseits der Yogamatte, beim Spazierengehen, beim Anstehen an der Supermarktkasse, im Auto vor einer roten Ampel oder sogar beim nächsten Meeting im Job oder beim Abendessen mit deiner Familie.

 

Leicht ist es nicht, doch schon der berühmte Psychologe C. G. Jung wusste:

 

Wer nach außen schaut, träumt. Wer nach innen schaut, erwacht.

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